Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zwei Entscheidungen zu den Aktenzeichen 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 mit den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes auseinandergesetzt. Hierbei ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig sind. Hierbei ist das Gericht zu folgendem Ergebnis gekommen:

  1. Die Regelungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 - 3 Asylbewerberleistungsgesetz sind mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar. Gleiches gilt für § 3 Abs. 2 Satz 3 Asylbewerberleistungsgesetz.

  2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich eine Neuregelung zu treffen.

  3. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung wird angeordnet,

    • § 3 AsylbLG ist nicht mehr anzuwenden, stattdessen ist Rückgriff zu nehmen auf §§ 5 – 7 RBEG. Dies gilt ausdrücklich nicht für die Abteilung 5 des § 5 RBEG (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und –gegenstände) in Höhe von € 27,41. Dies gilt für die anderweitigen Regelungen des RBEG analog mit Ausnahme der Abteilung 5 (s. o.).

    • Solange keine Neuermittlung der Regelbedarfe erfolgt ist, erfolgt die Anpassung nach den Regelungen des SGB XII.

    • Die Regelung des § 9 Abs. 3 AsylbLG i. V. m. § 44 SGB X findet für Leistungszeiträume bis Ende Juli 2012 keine Anwendung.

  4. Das vorgenannte Ergebnis begründet das Bundesverfassungsgericht damit, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG evident unzureichend sind, da sie seit 1993 nicht verändert worden sind.

  5. Weiterhin legt das Gericht Wert darauf, festzuhalten, dass die Rechte aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG Menschenrechte sind und kein Bürgerrecht. Aus dem Umstand, dass es sich vorliegend um Menschenrechte handelt, ist zu schlussfolgern, dass sie jeder Person zustehen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Abzustellen ist hierbei ausschließlich auf das Existenzminimum in Deutschland und nicht auf das Existenzminimum in irgendeinem anderen Land. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Überprüfung des Existenzminimums vorzunehmen und für den Fall, dass er der Auffassung ist, dass bestimmten Personengruppen ein Minus zusteht, ist dies auf der einen Seite empirisch zu untersuchen und auf der anderen Seite nur dann möglich, wenn der Bedarf von dem Bedarf anderer Personen signifikant abweicht. Hierzu wären entsprechende Daten zu ermitteln.

 

Das Gericht legt großen Wert darauf, dass die Menschenwürde unteilbar ist und jedem Menschen in Deutschland zusteht. Insbesondere bemängelte das Gericht, dass keinerlei Daten vorliegen, aus denen sich der konkrete Bedarf für die jeweiligen Personen ergibt. Ausweislich der Pressemitteilung 56/2012 vom 18.07.2012 gilt insofern, dass seit dem 01.01.2011 von einem erhöhten Satz für den Haushaltsvorstand in Höhe von € 206 zzgl. € 130, insgesamt also € 336, auszugehen ist. Nach dem o. g. Pressetext gilt dies ausdrücklich nur für nicht bestandskräftig festgesetzte Leistungen (siehe hierzu auch Anmerkung zu 19.07.2012). Ansonsten gilt die Erhöhung nur für die Zukunft.

Sind im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes Überprüfungsanträge gemäß § 44 SGB X möglich?

Das Bundesverfassungsgericht hat unter dem 18.07.2012 in zwei Entscheidungen zu den Aktenzeichen 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 geurteilt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist. Zur Begründung hat der erste Senat darauf hingewiesen, dass sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt.

Die Höhe dieser Leistungen wird durch den Gesetzgeber festgelegt. Hier ist der Gesetzgeber jedoch daran gebunden, dass die Leistungen nicht evident unzureichend sein dürfen und darüber hinaus realitätsgerecht ermittelt werden müssen. Insofern stehen die beiden o. g. Entscheidungen in der Logik der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II aus dem Februar 2010 (BVerfGE 125, 175). Auch beim Asylbewerberleistungsgesetz gelten im Kern die gleichen Prinzipien wie bei der Bemessung anderer Grundsicherungsleistungen, sei es nun im System des SGB II oder des SGB XII.

Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus ausgeurteilt, dass seit dem 01.01.2011 ein Betrag in Höhe von € 206 zzgl. eines weiteren Betrags von € 130, insgesamt also € 336, alleinstehenden Personen zusteht.

In der Praxis wird man häufiger beobachten müssen, dass die Bescheide, aus denen sich die Leistungshöhe ergibt, mittlerweile durch Fristablauf bestandskräftig geworden sind. Es stellt sich also die Frage, ob die Rechtskraft über § 44 SGB X durchbrochen werden kann.

Gemäß § 1 Abs. 1 SGB I ist es Aufgabe des Sozialgesetzbuches unter anderem ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Hierbei ist unter Sozialgesetzbuch nicht nur die Sozialgesetzbücher I bis XII zu verstehen, sondern gemäß § 68 SGB I weitere Gesetze wie z. B. das BAföG, die RVO usw.. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist in diesem Zusammenhang nicht aufgeführt worden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu dem Bereich der Sozialgesetzbücher gehört sondern bedeutet lediglich, dass das Asylbewerberleistungsgesetz wie auch andere spezielle Zweige der Sozialhilfe wie im Bereich der Jugendhilfe oder Arbeitsförderung materiell-rechtlich der Sozialhilfe zugeordnet sind.

Sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz als auch die Regelungen des SGB II und SGB XII haben existenzsichernde Funktion und leiten sich beide aus dem Sozialstaatsgebot der Verfassung ab.

Unabhängig davon, ob man wie Rothkegel das SGB XII als Referenzsystem (in LPK SGB I, § 9, Rnr. 34 unter Bezugnahme auf BT-Drucksache 15/1516, Seite 56) ansieht oder der Auffassung von Spellbrink (SGb 2005, 477) das SGB II als das Sozialleistungssystem der Zukunft ansieht, ändert dies nichts daran, dass das Asylbewerberleistungsgesetz in den Bereich der materiellen Grundsicherung gehört.

Festzuhalten ist insofern, dass das Asylbewerberleistungsgesetz ein Sozialgesetz ist und insofern hierfür auch die Regelungen des SGB I und des SGB X gelten.

Nichts anderes ergibt sich aus § 9 Abs. 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Hier wird ausgeführt, dass die §§ 44 bis 50 sowie 102 bis 114 SGB X über Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander entsprechend anzuwenden sind. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass es einer solchen Regelung nicht bedarf, wenn das SGB I und das SGB X sowieso anwendbar sind. Eine solche Argumentation geht jedoch fehl, da die Regelungen des zehnten Buches Sozialgesetzbuch insbesondere in den Regelungen der §§ 102, 103 und 104 eine klare Verweisung vorweisen. So heißt es z. B. in § 102 SGB X, dass dann, wenn ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbringt, derjenige Leistungsträger, der eigentlich zuständig ist, diese Aufwendungen zu erstatten hat. Da aber in § 9 Abs. 1 AsylbLG geregelt worden ist, dass die Leistungsberechtigten nach diesem Gesetz keine Leistungen nach dem SGB XII bekommen, könnte insofern fraglich sein, ob es sich dann um eine Sozialleistung handelt. Die Verweisung z. B. in § 102 SGB X würde sonst dazu führen, dass der vorläufig Leistende z. B. im Wege der Nothilfe die bei ihm entstandenen Kosten nicht erstattet bekommt. Um dies klarzustellen, bedurfte es der Regelung in § 9 Abs. 3 AsylbLG. Die Funktion der Norm ist also lediglich klarstellend, nicht anspruchsausschließend.

Insgesamt ist festzuhalten, dass § 44 SGB X im Bereich des AsylbLG anwendbar ist.

Anton Hillebrand
Bochum

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