PRESSEMITTEILUNG
Die Last mit der Wahrheit
In  der  Zeitung  „Die  Welt“  vom  11.02.2010  wird  der  Bundesaußenminister  und  Bundesvorsit-
zende der Freien Demokratischen Partei, Dr. Guido Westerwelle, mit den Worten zitiert: „Wer
kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt € 109,00 weniger im Monat als
wenn er oder sie Hartz IV bezöge. Diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leistungsgedan-
ken besorgt mich zutiefst.“
Sagt der promovierte Jurist und Rechtsanwalt Dr. Westerwelle hier die Wahrheit?
Ein Kellner mit fünf oder weniger Jahren Berufserfahrung und einer Wochenarbeitszeit von 38
Stunden  in  nicht  leitender  Position  bekommt  ein  Bruttogehalt  von  €  1.629,00  monatlich  ohne
Sonderzahlungen  wie  Weihnachts-  oder  Urlaubsgeld  (www.arbeitnehmerkammer.de/
sozialpolitik).  Unterstellt,  der  Kellner  ist  verheiratet  und  hat  zwei  Kinder,  bekommt  er  darüber
hinaus € 368,00 Kindergeld, € 159,00 Wohngeld und € 280,00 Kinderzuschlag. Insofern ergibt
sich ein monatlich verfügbares Einkommen von € 2.107,00.
Eine Kellnerin verdient brutto etwas weniger, nämlich € 1.528,00 zzgl. ebenfalls € 368,00 Kin-
dergeld, € 184,00 Wohngeld und € 280,00 Kinderzuschlag, sodass hier ein verfügbares Netto-
einkommen von € 2.051,00 monatlich vorliegt.
Ein Ehepaar mit zwei Kindern, das Leistungen gem. SGB II (Hartz IV) erhält, bekommt zum ei-
nen € 495,00 Regelleistung für die beiden Kinder (gemittelter Wert bei unterschiedlichem Alter
der Kinder), € 646,00 Regelleistung für die Eltern und im Mittel € 545,00 als Kosten der Unter-
kunft einschl. Heizung. Dies führt zu einem verfügbaren Einkommen in Höhe von € 1.686,00.
Wir sehen also, die Familie des Kellners hat € 421,00 netto monatlich mehr, die der Kellnerin
€ 365,00.
Aufgrund der Gesetzeskonstruktion ist es objektiv unmöglich, dass der Kellner € 109,00 weniger
im Monat bekommt als wenn er Leistungen gem. SGB II bezöge.
Wie  der  Internetseite  des  Auswärtigen  Amtes  zu  entnehmen  ist,  ist  Herr Westerwelle  promo-
vierter Jurist und darüber hinaus zugelassener Rechtsanwalt. Von einer Person mit dieser fach-
lichen Qualifikation darf erwartet werden, dass sie sich zutreffend zu Rechtsfragen äußern kann.
Bei  den  Ausführungen  von  Herrn  Dr.  Westerwelle  ist  insofern  zunächst  einmal  festzuhalten,
dass sie objektiv falsch sind. In einem solchen Fall gibt es nur zwei Erklärungsmodelle, entwe-
der Herr Dr. Westerwelle wusste es nicht besser, ist also kenntnislos, oder aber er wusste es
sehr wohl besser, hat es jedoch vorgezogen, die Unwahrheit zu sagen.Ob  man  lieber  einen  kenntnislosen  Bundesaußenminister  haben  will  oder  einen  Lügner  als
Außenminister, bleibt dem Leser überlassen.
Erinnert  sei  in  diesem  Zusammenhang jedoch  an  das  alte  Sprichwort:  „Wer einmal  lügt,  dem
glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“
02.03.2010

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